Ausgliederung – so nicht
Das aktuelle Beispiel Hannover 96 zeigt, was in Stuttgart angeblich keinesfalls Ziel der Ausgliederung sein soll, aber offensichtlich sehr wohl möglich ist: die mehrheitliche Übernahme der ausgegliederten Fußballgesellschaft durch einen Hauptsponsor. Und auch wer behauptet dagegen könnten sich Mitglieder immer wehren, wird eines Besseren belehrt: Gegen den Willen einer großen Mehrheit der Mitgliederversammlung soll der jahrelange Sponsor Kind Hörgeräte die Mehrheit bei Hannover 96 übernehmen. Davon berichtet keine Quelle, der in irgendeiner Form systemkritisches Denken nachgesagt werden kann, sondern die Sportschau.
Was in Hannover gerade passiert, soll eigentlich die 50 + 1 Regel verhindern. Doch die in der Bundesliga geltende Regel, dass ein Verein immer die Mehrheit, also 50 Prozent plus eine Aktie, an seiner Fußballmannschaft besitzen muss, kann – wie aktuell in Hannover – ausgehebelt werden, sobald ein Unternehmen oder ein Sponsor mehr als 20 Jahre ununterbrochen und in erheblichem Umfang den Verein gefördert hat. Das Beispiel Hannover 96 zeigt, dass Übernahmen von Fußballmannschaften Jahre, ja Jahrzehnte im voraus strategisch geplant werden: Kind Hörgeräte drängt bereits seit knapp zehn Jahren auf eine Abschaffung bzw. Aufweichung der 50 + 1 Regel.
Was bedeutet das für Stuttgart? Es ist bekannt, dass Daimler den VfB seit mehr als 20 Jahren in erheblichem Umfang fördert. Damit könnte Daimler also die 50 + 1 Regel aushebeln, genau wie Kind in Hannover. Angeblich soll genau das aber in Stuttgart nicht möglich werden: Für die Ausgliederung des VfB soll eine freiwillige 75 + 1 Regelung in der Satzung festgeschrieben werden, die verlangt, dass bei einem Verkauf von mehr als 24,9 Prozent der Aktien die Mitglieder zustimmen müssen. Eine Übernahme ist also möglich, aber nicht ohne Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder. Klingt also alles ziemlich ungefährlich.
Nicht klar und deutlich gesagt wird allerdings, wer wie stark im Aufsichtsrat einer möglichen VfB AG vertreten sein und damit hier das Sagen haben wird: Stimmt die Mehrheit der Mitglieder der Ausgliederung zu und damit der Gründung einer VfB AG, ist geplant, dass in deren Aufsichtsrat insgesamt neun Mitglieder sitzen. Zwei der Mitglieder soll der VfB bestimmen und zwei der erste Investor und damit die Daimler AG. Obwohl Daimler nur 11,75 Prozent der Anteile erwerben wird, stellt das Unternehmen mit den zwei Sitzen, die es für den Aufsichtsrat der VfB AG bestimmen darf, 22,22 Prozent der Aufsichtsräte. Genauso viel wie der VfB, obwohl dieser – entsprechend der 75 + 1 Regel – 75,1 Prozent der Anteile besitzt. Damit ist die Daimler AG trotz 75 + 1 Regel genauso stark im Aufsichtsrat vertreten wie der Verein. Bleiben noch die restlichen fünf Aufsichtsratsmitglieder: Über die darf der Verein mitbestimmen, wie die Stuttgarter Zeitung schreibt, aber natürlich auch jeder Investor.
Wolfgang Dietrich behauptet dennoch, der Verein würde mit der Ausgliederung stärker sein als zuvor. Und er behauptet, die Daimler AG habe keinerlei Interesse daran, ins operative Geschäft einzugreifen. Damit sagt er zwar, dass die Investoren nicht in die Geschäftspolitik einer VfB AG reinreden werden, gibt aber auch indirekt zu, dass es, wenn die Investoren dann doch mal Interesse haben, möglich wäre.
Bisher steht fest, dass die Daimler AG im Falle einer Ausgliederung 11,75 Prozent der geplanten VfB AG übernehmen soll. Zusätzlich ist geplant, dass weitere Unternehmen Anteile erwerben, so dass insgesamt 24,9 Prozent der VfB AG in Unternehmenshand sein werden. Und die neben der Daimler AG in die VfB AG investierenden Unternehmen wollen selbstverständlich auch im Aufsichtsrat vertreten sein; womit die Hoheit des Vereins über das operative Geschäft weiter eingeschränkt wird.
Warum schafft die Vereinsführung kein Modell, das die Mitglieder tatsächlich stärkt? Denkbar wäre ein Genossenschaftsmodell. Oder – wenn es unbedingt eine AG sein muss – eine AG mit festgeschriebenen Mehrheiten aus gewählten Vereins- und Fanvertreter_innen, die im Aufsichtsrat sitzen? Stattdessen ist geplant in den Aufsichtsrat Wirtschaftsvertreter_innen fest zu installieren, die bereits aktuell die Führungsriege des Vereins besetzen und sich in der Vergangenheit keineswegs aus dem operativen Geschäft zurückgehalten haben.
Bleibt die Frage, was mit dem schönen Geld ist, das die Ausgliederung bringen kann, und mit dem wir nach unserem Aufstieg tolle Spieler kaufen könnten, um Deutscher Meister zu werden: Durch den Verkauf der Anteile im Sinne der geplanten Ausgliederung ist nur ein einmaliger Geldsegen zu erwarten. Daimler will für 11,75 Prozent der VfB AG 40 Millionen zahlen. Für wie viele Spitzenspieler reicht das? Es ist zu erwarten, dass das Geld innerhalb kürzester Zeit verbraucht ist und keinen weiteren sportlichen Erfolg sichert; beste Beispiele hierfür sind aktuell der HSV, aber auch der VfL Wolfsburg und nicht zuletzt die eigene Vereinsgeschichte.